Stefan Trenkel

Asche einer rotfarbigen Kuh und deren Verwendung

Ich sollte es gleich zu Anfang sagen

Ich sollte es gleich zu Anfang sagen: ich habe nichts zu schreiben. Nicht, das es nichts zu schreiben gäbe, das weiß ich nicht, wie könnte ich es auch wissen, nur ich, ich habe nichts zu schreiben. Das wäre an sich auch nicht tragisch, schreiben oder nicht schreiben, tragisch ist nur, das ich, oder vielleicht besser gesagt, irgend etwas in mir, sich anmaßt, schreiben zu müssen, obwohl ich überhaupt nichts zu schreiben weiß. Ich halte mir gewissermaßen selbst die Pistole vor die Brust und verlange etwas von mir, was ich gar nicht besitze. Und wenn ich mich nicht wirklich vom Gegenteil überzeugen könnte, wenn ich nicht wirklich in den Büchern nachschauen könnte, und ich muß es immer wieder tun, den nichts ist hier sicher, so würde ich sagen, das, wonach ich suche, gibt es gar nicht. Man wird sagen, und auch ich sage es, ich suchte nicht richtig, es ist nicht leicht zu finden, es erfordert viel Anstrengung, und wann hätte ich mich je schon angestrengt. Doch sobald ich anfange zu suchen, anfange zu graben, nach einer Geschichte, einer Erzählung, einem Roman gar, erfaßt mich eine überdimensionale Leere. Da ist nichts dergleichen. Nicht einmal ein Rattenschwanz, an dem ich mich festhalten könnte. Ich bin unfähig, nein, schon mit jedem Gedanken, mit meiner ganzen Person verneine ich die Möglichkeit eines solchen Tuns. Welche Geschichte könnte ich erzählen, auf welcher Galerie könnte ich herum tanzen, wo ist mein Ivan, mein Wilhelm, mein Viktor? Es ist nichts dergleichen, ich kann mir nicht im mindesten vorstellen, was man tun müßte, wie es geschehen konnte, das sie auf einmal da waren. Wie, woher sind sie gekommen? Und wenn ich dann zu der Erkenntnis gelange, dass es so etwas in mir mit Sicherheit nicht gibt, gar nicht geben kann, da sich alles in mir diesem widerstrebt, so glaube ich schon gar nicht mehr an solche Sachen. Doch hilft mir das auch nicht weiter. Was hätte ich von der Erkenntnis, Schreiben, Literatur, so etwas gäbe es nicht mehr. Würde es mir helfen, wenn der liebe Gott mir sagen würde, schreiben, das ist vorbei, das war einmal? Ich wäre doch nicht einmal einer jener Figuren, die dann mit dem Bleistift in der Hand über ihrem Heft erstarren würden.

Die Katze

Die Katze frißt den Hund. Die Maus jagt den Tiger. Das Meerschweinchen läuft den Berg hoch. Die Uhr zeigt fünf. Vor dem Hoteleingang hält ein Taxi. Ein schwarzer Mann mit rotem Hut steigt aus. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne. Es regnet. Die Menschen in den Straßen, auf den Plätzen, laufen davon. Die Regentropfen prasseln auf den Asphalt. Der Asphalt dampft. Die Katze legt sich in die Ecke. Die Maus streichelt den Tiger. Das Meerschweinchen schaut fern. Die Uhr macht piep. Der Hoteleingang ist leer. Der schwarze Mann hat seinen Hut abgelegt. Es regnet nicht mehr. Auf dem Asphalt Schritte. Im Naß der Straßen spiegelt sich der Hund.

Der Stift

Der Stift sengt sich auf das Papier, bewegt sich auf und ab: Schrift. Die Gefühle sind ausgetrocknet, alles leer: zurück bleiben Wörter, Wörter, ... . Von Wörtern umringt. Kreisen munter um einen herum. Sich einem Wort nähern, Vogelweide, sich anschleichen, es ertappen; sich ertappen. Er sitzt in seinem Zimmer. Er weiß nichts zu tun. Er versucht zu schreiben. Ein paar Zeilen, er weiß nicht weiter, er versucht zu lesen, ein paar Zeilen, er weiß nicht weiter. Jetzt, in diesem Moment, gibt es drei Möglichkeiten. Er ist müde, er geht schlafen. Er hat Hunger, er ißt noch etwas. Er ist weder müde noch hungrig: Er geht spazieren. Er geht durch die Straßen. Er schaut die Straße entlang. Er sieht Menschen, Häuser, ... . Er geht an Menschen, Häusern, ... vorbei. Welche Wörter bleiben übrig, wenn alles verloren ist? Alles schwebt und wir blasen dem anderen unseren Atem ins Gesicht. Über der Vogelweide, hoch im Himmel, da wo niemand mehr Angst hat. Wörter, die allen Ballast abgeworfen haben, suche sie, los, suche sie. Wörter, am Himmel, Wörter.

Drei Wecker

Heute hatte ich wieder einen aufregenden Traum gehabt. Thomas, mein Zimmernachbar, läßt so ab sechs, vielleicht sogar halbsechs, seine Wecker klingeln. Normalerweise seinen elektronischen Wecker und seinen Radiowecker. Die Wecker klingeln dann meistens so eine Stunde lang, bis er dann aufsteht und sie ausschaltet. Das ist zwar ärgerlich, doch sind die beiden Wecker nicht allzu laut, so daß ich sie schon gar nicht mehr höre.

Doch gestern muß Thomas sich einen neuen Wecker zugelegt haben, der etwas lauter als die beiden anderen Wecker klingelt. Und so bin ich heute morgen, ich weiß nicht wann, von dem Lärm dieser drei Wecker aufgewacht. Aufgewacht ist vielleicht nicht das richtige Wort, irgendwie merkte ich im Reich zwischen Schlaf und Wachsein, dass da ein neuer Wecker war und ich aufstehen wollte, um mich zu beschweren. Aber irgend etwas in mir wollte das nicht und so fing ich an zu träumen.

Ich träumte, es wäre zwei Uhr nachts, in Thomas Zimmer wüteten die Wecker und ich ging hinüber, um mich über die Ruhestörung zu beschweren. Aber Thomas lachte nur. Also mußte ich mich anders wehren. Zuerst schaltete ich mein Radio ein und drehte es auf volle Lautstärke, in der Hoffnung, das Thomas, der, was die Hausordnung angeht äußerst korrekt ist, nachgeben würde. Aber Thomas lachte weiterhin. Dann drohte ich, die Polizei anzurufen, was schon mehr Eindruck machte. Als ich dann wirklich mit der Polizei sprach, schaltete er das Radio aus und ich sagte der Polizei es hätte sich erledigt. Aber dann faßte Thomas wieder Mut, schaltete das Radio wieder ein und rief voller Überheblichkeit, ruf die Polizei doch an, ruf sie doch an. Ich sah ein, das auch das nichts mehr nützen würde. Ich sann auf Rache und drohte, das ich eines Nachts ganz fürchterlichen Lärm machen würde. Auch das nützte nichts, mir fiel nichts mehr ein und so konnte dieser Traum mich nicht länger schlafend halten. Ich wachte wieder auf, die drei Wecker klingelten immer noch; nun stand ich nochmals auf, klopfte an Thomas Türe und der Spuk war vorbei.

Das Zimmer

Er saß auf einem Stuhl. Seine Beine waren angewinkelt, der Rücken angelehnt, seine Hände im Schoß. Sein Atem war ruhig und tief. Hin und wieder bewegte er seinen Kopf. Er schaute auf die Wände, in den Raum. Es gab nichts zu sehen. Der Raum war weiß. Ein paar Linien, die sich trafen, um wieder auseinanderzulaufen. Er streckte seine Beine. Es war ein großes Zimmer. Alles war weiß. Der Stuhl, auf dem er saß, war schwarz. Ein schöner Stuhl. Er stand auf. Er ging auf die vordere Wand zu. Er blieb stehen. Er schaute die Wand an. Er legte seine flache Hand auf die Wand. Die Wand war kühl. Er rieb mit seiner Hand auf der Wand. Er spürte ihre feine Struktur. Er ließ ab. Er ging die Wand entlang. Bis zur Ecke. Er blieb einen Moment stehen, drehte sich dann nach links, und ging langsam weiter. Er ging auf die hintere Wand zu. Er ging die hintere Wand entlang. In der Mitte blieb er stehen. Er setzte sich. Seine Füße waren ausgestreckt, die Hände berührten den Boden. Er schaute nach vorn. Da war sein Stuhl. In der Mitte des weißen Zimmers stand der Stuhl. Er schaute durch die Verstrebungen des Stuhls hindurch. Er sah die gegenüberliegende Wand.